Machu Picchu, Peru: Inca Wonder

Wenn man schon mal in der Gegend ist, dann sollte man natürlich auch hin – nach Machu Picchu. Wobei das Hinkommen ganz schön anstrengend sein kann. Zumindest wenn man es so macht wie wir.

Keine Sorge, wir sind nicht den Inka-Trail gegangen. Die legendäre viertägige Wanderung nach Machu Picchu ist kein Spaziergang, geht man doch über mehrere Pässe, der höchste 4.200 Meter hoch. Das überlassen wir gerne Jüngeren. Außerdem hätten wir uns schon vor Monaten für die Gruppenwanderung anmelden müssen. 500 Wanderer dürfen täglich auf die Strecke – auch nicht grade eine Zahl, die stille Bergeinsamkeit erwarten lässt.

Nein, der bequemste Art von Cusco nach Machu Picchu zu kommen, genauer gesagt nach Ausgangsort Aguas Calientes, ist die mit dem Zug. Allerdings fahren die Züge nicht von Cusco aus, sondern je nach Zuganbieter von verschiedenen Orten in der Umgebung, die man per Bus ansteuern muss. Außerdem sind die Zugfahrten ziemlich teuer. Im Reiseführer gibt es sogar einen Kasten mit der Überschrift “Der Zugabzocke entgehen”. Wir entschließen ums deshalb zur Billig-Variante: der Fahrt mit dem Kleinbus. Fast jeder Tour-Anbieter rund um die Plaza hat diese Möglichkeit im Angebot. Uns ist klar, dass man bei dieser Variante zwar am Hotel in Cusco abgeholt wird, das letzte Stück bis Aguas Calientes aber zu Fuß gehen muss. So ein kleiner Spaziergang in schöner Landschaft und frischer Luft, das ist doch was für uns, denken wir.

Keine Komfort-Veranstaltung

In aller Herrgottsfrühe (Woher kommt eigentlich diese Redewendung? Man spricht ja komischerweise auch von einer “unchristlichen Zeit” und meint damit so ziemlich das Gleiche) – also, in aller Herrgottsfrühe klingelt der Fahrer des Kleinbusses, der uns zu Perus Weltklasse-Ziel bringen soll, an der Tür von Hotel Ninos II. Wie nicht anders zu erwarten, sind die 15 Plätze alle belegt. Vor uns liegt eine stundenlange Fahrt, was ja im Kleinbus keine Komfort-Veranstaltung ist. Aber wir haben es ja so gewollt.

Ein bisschen Ablenkung bietet das grandiose Landschaftskino draußen: vergletscherte Andengipfel, Passstraßen, die sich endlos hinauf- und wieder hinabwinden, Schluchten mit fast senkrechten Felswänden, fruchtbare Täler, in denen Kartoffeln, Quinoa, Mais und Obst angebaut wird. Wir durchfahren das grüne Urubamba-Tal, selbst ein Top-Reiseziel wegen der zahlreichen Ruinen aus der Inka-Zeit. Die Gegend war außerdem ein agrarisches Zentrum der Inkas, in dem sie landwirtschaftliche Experimente durchführten. So sogar schön die Strecke ist, sie zieht sich. Und zieht sich. Beim Städtchen Santa Teresa biegen wir auf eine enge Schotterpiste ab, die spektakulär an einer Schlucht entlangführt. Mittlerweile haben wir ja schon eine Menge Wasserfälle gesehen. Aber dass das Wasser an einer Felswand auf halber Höhe durch eine riesige Öffnung strömt und dann tosend zu Tal stürzt, das bekamen wir noch nicht vor die Augen.

Gerechnet hatten wir mit frühem Nachmittag, tatsächlich kommen wir erst gegen halb vier am Wasserkraftwerk und Bahnstation Hydroelectrica an. Hier, so wissen wir, endet die Straße, und man kommt nur mit dem Zug oder zu Fuß weiter nach Aguas Calientes. Na ja, nach acht Stunden Fahrt im engen Kleinbus, tut ein kleiner Fußmarsch wohl ganz gut. Mit vielen anderen machen wir uns auf den Weg, immer den Gleisen entlang. Mehr als ein Gleis, ein Fußweg und der Fluss Urubamba passen nicht in die Schlucht. Wir sind hier nicht mehr in hochalpiner Lage, sondern am waldreichen Ostabhang der Anden. Der tieferen Lage entsprechend, ist es warm, sehr warm. Hinter jeder Biegung des Flusses hoffen wir, dass sich das Tal weitet und wir die Häuser von Aguas Calientes erblicken. Allein, das Tal bleibt eng und die Landschaft hinter der Biegung ist nur eine Variante der Landschaft vor der Biegung.

Bielefeld

Es ist inzwischen fast dunkel. Wir glauben schon fast, Aguas Calientes und Machu Picchu sei eine Erfindung der Tourismus-Industrie und genauso wenig existent wie Bielefeld. Wie soll ein Städtchen auch in ein Tal passen, dessen Sohle kaum hundert Meter misst!? Dann endlich, nach zweieinhalb Stunden strammen Fußmarsches, sehen wir Lichter in der Dunkelheit. Das kann nur Aguas Calientes sein, denken wir, und sind erleichtert. Kurz nach sechs passieren wir die ersten Häuser, die große, noble Hotels sind. Aguas Calientes (auch Machu Picchu Pueblo genannt) kommt uns seltsam unwirklich vor. Eben noch nichts als Fluss, Berg, Wald und nun gebeamt nach Klein St. Moritz. So erscheint uns der ins Tal gekleckste Ort mit seinen Beherbergungsbetrieben, Wirten, die uns in ihr aufgeschicktes Restaurant ziehen wollen, und übervollen Andenkenläden.

Inca Wonder

Geschafft also? Nicht ganz. Wir finden nämlich unser gebuchtes Hotel nicht. Hört sich komisch an, war aber so. Wir stehen vor der angegebenen Hausnummer, aber dort ist nichts zu erkennen, was auf das Hotel “Inca Wonder” hindeutet. Links und rechts liegen Restaurants, aber keiner der Kellner kennt “Inca Wonder”. Wir fragen zwei Polizisten, die auch noch über Funk mit ihrer Wache Rücksprache halten. “Inca Wonder” ist nicht polizeibekannt. Wir gehen ins Büro, wo man die Eintrittskarten für Machu Picchu kauft. “Inca Wonder”? Nie gehört! Wir glauben allmählich “Inca Wonder” ist Bielefeld. Dieter lästert, ein Hotel mit diesem affigen Namen hätte man nie und nimmer nehmen sollen. Wir landen schließlich in einem Hotel ähnlichen Namens, das “Inca Wonder” auch nicht kennt. Die Dame an der Rezeption wählt die Nummer, unter der “Inca Wonder” zu erreichen sein soll. Tatsächlich! Es gibt das Hotel “Inca Wonder”. Man verspricht uns abzuholen.

Wenig später erscheint ein junger Mann, der uns zu “Inca Wonder” mitnimmt. Unterwegs stolpert Dieter und knallt voll auf den Asphalt. Das Blut fließt über die linke Hand, das Knie ist aufgeschlagen, die Hose zerrissen. In blendender Laune erreichen wir “Inca Wonder”, das sich übrigens an der angegebenen Adresse befindet. Nur muss man am Schild “Massage Salon” über einen langen Flur ganz tief in das Gebäude hineingehen. Dann ein paar Stufen hinab und schon ist man im Raum der Rezeption, wo noch gezimmert wird. Das Hotel “Inca Wonder” scheint noch recht neu zu sein. Außer uns hat offenbar noch niemand den Weg dorthin gefunden. Wir sind die einzigen Gäste. Welch ein Auftakt für Machu Picchu!

2.500 Besucher täglich

Am nächsten Morgen um sieben stehen wir mit hunderten anderen Menschen in der Schlange und warten auf den Bus, der uns hinaufbringt zur weltberühmten Inca-Stadt. Von halb sechs am Morgen bis zum späten Nachmittag karren die Shuttle-Busse pausenlos Besucher zum Eingang Machu Picchus auf 2.400 Meter. Die UNESCO hat erzwungen, die Besucherzahl auf 2.500 täglich zu begrenzen. Denn es tut den alten Mauern natürlich nicht gut, dass täglich Tausende auf ihnen herumtrampeln. Aus archäologischer Sicht wäre es sicher am besten, die Anlage für Besucher zu sperren. Aber Peru kann und will sicher nicht auf eine so kräftig sprudelnde Geldquelle verzichten.

Nach 20 Minuten Busfahrt und der Ticketkontrolle beim Besucherzentrum sind wir drin. Auf einen Führer, die sich zahlreich andienen, verzichten wir. Ein kurzes Stück bergauf und wir erreichen den “Puesto de Vigilancia” (Hütte des Verwalters des Grabfelsens). Das ist eine Stelle, wo man das typische Machu-Picchu-Foto machen kann: Blick über die Stadtanlage auf den kegelförmigen Hügel Huayna Picchu. Das tun auch wir – mit dem erhebenden Gefühl, das einen befällt, wenn man an diesem berühmten Ort steht. Und wir haben noch dazu das Glück, dass die Sonne vom wolkenlosen Himmel scheint, was in dieser Gegend nicht die Regel ist.

Offizieller Entdecker von Machu Picchu ist der Amerikaner Hiram Bingham, der 1911 eher zufällig auf die Ruinen stieß. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Einheimische den Ort zuvor schon kannten. Bis heute ist wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt, welche Funktion Machu Picchu genau hatte. Fest steht, dass es ein heiliges Zentrum der Inkas war, das an einer strategisch wichtigen Stelle errichtet wurde und sich dank eigener Terrassenfelder selbst ernähren konnte. Darüber hinaus will ich an dieser Stelle keine Abhandlung über die archäologische Bedeutung von Machu Picchu schreiben. Darüber kann jeder in Wikipedia oder sonstwo nachlesen.

Inka-Brücke

Wir bewegen uns auch nicht grade in bildungsbeflissener Strenge durch die Anlage. Zunächst gehen wir den sehr schmalen Pfad an einer Felswand entlang zur Inka-Brücke. Mehrere hundert Meter tiefer rauscht der Urubamba. Nichts für Leute mit ausgeprägter Höhenangst. Die Inka-Brücke ist eigentlich nichts anderes als ein paar Holzbohlen, die eine Aussparung in einer Mauer überspannen. Bei Gefahr konnten die Inkas die Bohlen einziehen und so den Weg zur Stadt versperren. Einfach, aber effektiv.

Anschließend gehen wir durch ein Steintor in die Stadt. Nach einigen Metern passiert man den Steinbruch, wo einst die Steine für die Gebäude zurechtgehauen wurden. Wenn man sich die Mauern anschaut, erkennt man wie genau die Steine aufeinanderpassen. Alles hielt ja ohne Hilfsmittel wie Lehm oder gar Zement zusammen. Im Hauptpalast steht auf einer Anhöhe das mutmaßlich wichtigste Heiligtum Machu Picchus, der Sonnenanker oder Intihuatana. Hier betrieben die Bewohner astronomische Messungen, mit deren Hilfe sie zum Beispiel den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat bestimmten.

Wagemutige können den Gipfel des Huayna Picchu (“junger Gipfel”) besteigen oder den nicht minder schwindelerregenden zum Mondtempel nehmen. Nichts für uns. Wir durchqueren das ummauerte Bürgerviertel und das Handwerkerviertel. Wenig später kommen wir an einem Hohlraum vorbei, der möglicherweise als Gefängnis diente. Ob die Inkas überhaupt diese Form der Bestrafung kannten, ist allerdings unklar. Überhaupt wundere ich mich sich manchmal, welche “Erkenntnisse” Archäologen aus ein paar Mauerresten ziehen. Aber das mag an meiner Fachfremdheit liegen.

Gesamtkunstwerk

Nach dem Königspalast sehen wir Rinnen, in denen Wasser fließt. Möglicherweise Teil des Bewässerungssystems für die Felder, auf denen die Bewohner ihr Gemüse zogen. Ob der Sonnentempel, den wir anschließend erreichen, tatsächlich wie der Name suggeriert eine religiöse Funktion hatte oder vielleicht bloß ein Getreidespeicher – wer weiß es schon. Für uns unbedarfte Touristen ist Machu Picchu eh nicht in erster Linie ein Ort des bildungshuberischen Wissensgewinns, sondern uns fasziniert wie viele das Gesamtkunstwerk. Und dazu gehören mindestens ebenso sehr die grandiose Lage inmitten von der Bergwelt , die üppige Vegetation, das Licht, das Zusammenspiel von allem.

Nach drei Stunden setzen wir uns wieder in den Shuttle-Bus und fahren runter nach Aguas Calientes. Um viertel nach zwei müssen wir wieder am Wasserkraftwerk sein. Dort wartet unser Kleinbus für die Rückfahrt nach Cusco. Zweieinhalb Stunden in der Mittagshitze laufen oder doch Zug fahren, fragen wir uns. Wir nehmen den Zug. Höchst ärgerlich ist dabei, dass Touristen genötigt werden, an einem extra Schalter eine Fahrkarte zu kaufen. Und die ist schweineteuer. Wenn ich mich richtig erinnere, so um die 20 Euro für die grade mal 12 Kilometer. Einheimische fahren mit günstigen Tickets im selben Zug. Die Touristen bekommen einen eigenen Wagen angehängt, der etwas bequemere Sitze hat. Wir fühlen uns als unfreiwillige Entwicklungshelfer für die private Eisenbahngesellschaft Peru Rail.

In Hydro Electrico steigen wir in unseren Kleinbus. Zwischen 9 und 10 Uhr Uhr abends sind wir wieder zurück in Cusco. Und haben schon die nächste Exkursion im Blick: zum Nationalpark Manu. Dort können einem Leoparden begegnen. Na ja, wenn man großes Glück hat.

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3 Kommentare zu “Machu Picchu, Peru: Inca Wonder”

  1. Renate sagt:

    Lieber Dieter, ich habe diesen Bericht, genau studiert, vor allem wie man da hinkommt. Doch schon ein größeres Abenteuer. Das wäre für uns auch noch so ein Ziel. Mal sehen.
    Alles Liebe und weiterhin gute Reise
    Renate

  2. Nicky sagt:

    Huhu ihr Lieben. Mensch, was hat sich das alles verändert. Als ich vor 20 Jahren dort war, konnte jeder kommen und gehen wie er wollte. Von wegen nur 2500 Menschen. Okay ich bin vom Inka-Trail her gekommen aber auch die Gruppe war mit 4 Personen nicht groß.

    LG Nicky

    • Dieter sagt:

      Tja, die Welt wird auch in 20 Jahren ganz anders aussehen als heute. Schön, dass Du noch immer in den Blog schaust. Ich überlege, was ich damit mache. Die Website muss ja umgestrickt werden. Helga und ich hoffen, dass es dir und Thorsten gut geht.

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